… die sich zu wichtig nehmen.
Der Geist des Sees war also immer da. Wenn ich ihn lange Zeit nicht mehr gespürt habe, so lag das wohl nicht an ihm.
Als wir am Freitagabend am Passo Nigra vor dem atemberaubenden Rosengartenmassiv standen, entdeckten wir an seiner rechten Flanke einen Lift, der es Skifahren wohl ermöglichen soll, eine noch nicht einmal hundert Meter lange, steile Piste auf einem der heiligsten Wahrzeichen Südtiroler Lebensart hinunterzurutschen.
Welch ein Frevel! Menschen hängen Kruzifixe in Amtsstuben und pissen gleichzeitig aus purer Geldgier der Natur mitten ins Gesicht.
„Wenn ich wieder auf die Welt komme, möchte ich ein Berg werden.“, meinte Ina ehrfürchtig beim Anblick von Laurin und seinem Rosengarten. „Egal, was kommt – ob Eiszeiten, Gewittersturm, oder Gluthitze – ich lasse einfach alles an mir abprallen. Und dann schmeiße ich einfach schmunzelnd immer mal ein paar Lawinen auf die Trottel, die meinen, mich bezwingen zu können.“
Wie recht sie hat.
Wir Menschen können Bergen die wüstesten Narben ins Gesicht fräsen, wir können sie sprengen, ihnen in heißen Sommern ihr kühlendes Kleid aus Gletschern vom Leib reißen, das Eis in ihrem Inneren zum Schmelzen bringen, damit ganze Gipfel in die Tiefe stürzen.
Versetzen können wir sie – im Gegensatz zu dem im Volksmund so oft zitierten Irrglauben – jedoch nie. Ganz egal wie sehr wir an irgendetwas glauben.
Denn auch wenn wir ihre Gipfel zum Einstürzen bringen, mag das aus unserer Zwergenperspektive durchaus dramatisch anmuten. Doch in er Zeitrechnung dieser ehrwürdigen Kolosse bedeutet ein Menschenleben noch nicht einmal eine Nanosekunde.
Und so wachsen sie Jahr für Jahr um zwei Millimeter nach. In einem Menschenleben, noch nicht einmal einer Nanosekunde also, etwa sechzehn Zentimeter.
Und wie wir so vor dem phantastischen Massiv standen und auf den Sonnenuntergang warteten, brach die Dämmerung herein – ganz ohne, dass sich irgendetwas auch nur annähernd rötlich einfärbte.
Dennoch waren wir nicht enttäuscht, als wir nach Hause fuhren. Der Eindruck dieses unbeschreiblichen, acht Kilometer breiten Massivs hallte noch nach.
Am Ende des Passes in St. Zyprian angekommen, drehten wir uns noch einmal um – und siehe da: das komplette Massiv strahlte plötzlich und unerwartet in leuchtendem Rot. Ganz offenbar, war der Sonne nur kurze Zeit ein Berg im Weg gestanden.
Nun gut. Das eigentliche „Gartl“, der Schuttkar zwischen Rosengartenspitze und Laurinswand war jahreszeitbedingt noch mit Schnee bedeckt. Doch geleuchtet hat es trotzdem.
Aber zwei wichtige Dinge haben wir beide mit nach Hause genommen:
- Zwerge neigen manchmal dazu, sich zu überschätzen
- [De]Mut zur Umkehr kann [nicht nur in den Bergen] belohnt werden.
Der Geist der Berge war nie weg.
Fortsetzung folgt.